AKT
2012, 11
Theater als Espresso-Maschine
1. Aus Kölner Theaterzeitung AKT (Nov 2012)
Online-Version:
http://www.theaterzeitung-koeln.de/archiv/akt38-dezember-2012/neues-aus-der-koelner-theaterszene-dezember-2012/transfusionen/
Theater als Espresso-Maschine
Das neue Festival TransFusionen in der studiobühne hat sich zur
Aufgabe gemacht, Köln zum Treffpunkt nationaler und internationaler
Theaterschaffender zu machen. Zu Gast: "Darf ich deinen Diskurs mal in
den Mund nehmen - Geborgenheit üben reloaded" aus Berlin und der
englische Künstler Michael Pinchbeck, der bei TransFusionen zum
letzten Mal überhaupt auf der Bühne steht.
TransFusionen, so heißt der Zugang, der gelegt werden muss, um etwas vom anderen
aufzunehmen. Also: Austausch. Der war das Ziel des neuen Festivals an der studiobühnekoÅNln:
Gastspiele von außerhalb einzuladen, die in fünf Tagen sowohl einen Austausch zwischen den
Gruppen als auch mit der Kölner Theaterszene ermöglichen. Die Workshops zwischen den
Performances sind gut besucht. Der Workshop "Wie: Diskurse in den Mund nehmen?" von Malte
Schlösser und Ensemble fordert die Teilnehmer dazu auf, in kleinen Gruppen die sehr
theorielastigen Stücktexte auf eigene Weise zu performen, mit Requisiten von der Bühne: etwa
Pferdekopf- Masken oder rote Umhänge. Wie theatralisiert man so einen sachlichen Text- und was
hat er mit mir zu tun? Wenn man diese spannende Frage gut für sich beantwortet, kommt auf der
Bühne etwas Interessantes heraus, lernen wir. Auch "Devising Theatre: Working towards The End"
von Pinchbeck stürzt die Teilnehmer mitten in die Bühnenarbeit. Die Aufgabe: mit den Anderen
nur durch Bewegung in Beziehung treten. Oder: seinen Charakter aus seiner Unterschrift lesen
(meiner: scheinbar stabil, aber bereit zu Schnörkeln) - und anschließend darstellen. Immer wieder
fordert Pinchbeck die Teilnehmer auf, zu hinterfragen, wo die Grenze verläuft zwischen ihren
"echten" Identitäten und der Rolle, die sie (im Leben oder auf der Bühne) spielen. Das ist wie
Selbsterfahrung oder Körpertherapie.
"This is the last stage I stand on"
Diese Frage steht auch im Zentrum seiner
Arbeit "The-End" - die zugleich (sagt er)
Pinchbecks letzte Arbeit sein wird. Kein
klassisches Stück, sondern Meta-Theater: Muss
man wissen, wer der Mensch unter dem
Kostüm ist? Pinchbeck sagt ja. Dafür bedient er
sich bei Shakespeare, sein"Protégé" Ollie Smith
wird im Plüschkostüm zum Bären
des"Wintermärchens". Smith muss rennen und
tanzen, ("Bärensind zum Tanzen da!"), bis er
real zusammen bricht: Theaterist dann gut,
wenn die Grenze zwischen Rolle und Darsteller nicht mehr existiert.
"Du Reclamheft!"
"Kann ich deinen Diskurs mal in den Mund nehmen?" hingegen ist tiefschwarze Kapitalismus- und
Gesellschaftskritik, verkleidet als vulgäres Glitzerspektakel und zynisch witzig. Vor lauter
Schimpfwörtern und Slapstick fällt es fast nicht mehr auf, dass man sich mitten in einer politisch
wichtigen Arbeit befindet, die den Druck thematisiert, dem man als freier Künstler ausgeliefert ist:
Immer sexy, kreativ und bloß nicht langweilig wie ein Reclamheft zu sein. Malte Schlösser
thematisiert die Durch-Ökonomisierung der vermeintlich künstlerisch freien Szene, die den
Menschen dahinter vollkommen übergeht.
Bitte mehr davon
Beide Produktionen hinterfragen sich selbst und das Theater massiv, lassen also eine Meta-Ebene
einfließen, die das eigene Tun reflektiert und die Essenz wie "in einer Espressomaschine" (so
Pinchbeck) auf die Bühne bringt - und in der sich die Schauspieler öffentlich, verfügbar, und in
gewisser Weise auch verletzlich machen. Das hinterlässt einen Beigeschmack von Voyeurismus auf
der einen Seite und weckt das Bedürfnis, sich selbst auch in seinen "Lebensrollen" zu hinterfragen.
Und könnte nicht ein wenig mehr theatralische Selbstreflexion des eigenen Tuns auch manchem
Kölner Theaterschaffenden kreativen Input geben? TransFusionenI hat das Zeug, sich zum
Impulsgeber zu entwickeln.
GINA NICOLINI